Paeonia rockii subsp. linyanshanii

Eine Strauch-Päonie mit Zukunft

7994 wurde diese hochinteressante Unterart von Paeonia rockii erstmals botanisch beschrieben. Seither hat sie ihren Namen mehrfach geändert. Es hat den Anschein, dass das letzte Wort zur Namensgebung noch nicht gesprochen wurde. Trotz des taxonomischen Tauziehens der Botaniker um den korrekten Namen ist sie eine der wichtigsten Strauch-Päonien-Arten mit einer bedeutsamen Zukunft für unsere Gärten.

Mit Paeonia rockii hat die subsp. linyanshanii eigentlich nur die weiße Blütenfarbe und die schwarzen Basalflecken in der Blüte gemein. Ansonsten übertrifft die Unterart die Art in allen Aspekten: an Schönheit und Größe der Blüten, an der Form der Knospen, an der Höhe des Strauches und Härte des Holzes und nicht zuletzt in Bezug auf die Wüchsig-keit und vegetative Vermehrbarkeit.

Als Prof. Hong Tao und Dr. Gian Lupo Osti 1994 die Wildart beschrieben, war diese Information in interessierten Kreisen eine kleine Sensation, weil Paeonia rockii subsp. linyanshanii im Gegensatz zu der schon länger bekannten P. rockii und deren Hybriden ganzrandige lanzettliche Fiederblättchen hat. Nur selten ist ein Blättchen gelappt. Die Größe der endständigen Fiedern differiert zwischen 7 bis 10 cm Länge und 3 bis 4,5 cm Breite. An den Stielen und auf der Unterseite der Blättchen finden wir einzelne Haare, die gehäuft entlang der Nerven sitzen. Ein unteres Laubblatt kann bis 55 cm lang sein und ist doppelt gefiedert.

Paeonia rockii subsp. linyanshanii ist in den chinesischen Provinzen Henan, Hu-bei, Gansu und Shaanxi beheimatet. Dort wächst sie in Gebirgsregionen auf etwa 1500 m Meereshöhe, in Gansu sogar bis 2800 m.

Bevor Sie nun wie einer unserer Freunde auf der chinesischen Landkarte den Lin Yan Shan suchen: die Päonie wurde nicht nach einem pittoresken Berg (Shan) genannt, sondern nach Herrn Lin Yan-shan. Dieser Herr, ein ehemaliger Student von Prof. Hong Tao, hängte die Botanik an den Nagel und arbeitete sich erfolgreich zum Präsidenten einer großen Firma empor. Seinen ehemaligen Mentor unterstützte er finanziell und ermöglichte somit einige von Hong Taos Forschungs- und Studienreisen. Aus Dankbarkeit wurde die neu beschriebene Unterart P. rockii subsp. linyanshanii genannt.

Von allen Wildformen der Strauch-Pfingstrosen dürfte P. rockii subsp. linyanshanii die größten Blüten haben. Sie erreichen gut und gerne einen Durchmesser von 20 cm. Die Außenseite der Knospe kann vor dem Aufblühen leicht rosa überhaucht sein. Wenn sich die Blüte öffnet, ist sie allerdings reinweiß. Ihre großen Basalflecken sind fast schwarz, haben aber einen rötlichen Schimmer. Die Farbe läuft am Übergang zum weißen Blütenteil rötlich fransig aus.

Die fünf Fruchtblätter sitzen auf einer weißen Scheibe, welche die Fruchtblätter zur Hälfte als Scheide umhüllt. Sie sind grün, silbrig behaart und von einer weißen kammartigen, bis 5 mm hohen Narbe gekrönt. Die Staubfäden sind reinweiß, Staubbeutel und Pollen zitronengelb. Pollen wird überreichlich gebildet. Die Blüten sind nicht nur für den Menschen äußerst attraktiv, sondern auch für die heimische Insektenwelt, die sie zur Pollenernte aufsucht. Die Blüten duften nur schwach, aber dieses subjektive Kriterium ist schwer zu beschreiben. Die Substanz der Blütenblätter ist sehr gut; Regengüsse werden gut überstanden. Die Blütezeit von P. rockii subsp. linyanshanii fällt zusammen mit der anderer chinesischer und japanischer Hybriden, das ist bei uns etwa Anfang Mai.

Die Blüten schieben sich aus endständigen Triebknospen des Strauchs hervor. Diese Knospen sind derart auffallend, dass sich sogar winterliche Gartenbesucher nach der Identität dieser Päonie erkundigen. Sie sind ungewöhnlich groß, bis 5 cm lang und bei unseren Pflanzen beim Laubfall leuchtend maigrün gefärbt. Von Pilzen infizierte Knospen sind schon beim Laubfall schwarzbraun und sollten entfernt werden.

Die Knospen werden von relativ großen Schuppen umhüllt. Wenn im zeitigen Frühjahr das Wachstum einsetzt, öffnen sich diese Schuppen zu einem trichterförmigen Gebilde, aus dem der Neutrieb mit der an der Spitze sitzenden Blütenknospe herausragt. In diesem Trichter kann bei Dauerregen Regenwasser angesammelt werden. Dies ist der einzige Nachteil, den wir an P. rockii subsp. linyanshanii erkennen, denn in diesem mit Wasser gefüllten Trichter kann bei Spätfrösten das Wasser gefrieren. Anschließend eindringende Pilze bringen dann den Trieb zum Absterben. Als wir dies zum ersten Mal beobachteten, bauten wir ein Plastikzelt als Regenschutz über die Sämlingsreihe. Inzwischen haben die Pflanzen solche Größen erreicht, dass dies aus organisatorischen und ästhetischen Gründen nicht mehr möglich ist. Zudem setzen die Sträucher so viele Blüten an, dass der Ausfall einer Knospe keine Rolle mehr spielt.

Befruchtung, Samenbildung und Keimung

Hat während der Blüte eine Befruchtung stattgefunden, beginnen die Fruchtblätter zu schwellen und zu wachsen. Dies kann aber nur geschehen, wenn Pollen einer anderen Strauch-Pfingstrose auf die Narbe gelangt. P. rockii subsp. linyanshanii ist nach unseren Erfahrungen mit sich selbst unfruchtbar. Das bedeutet, dass man - um die Art durch Handbestäubung erhalten zu können - wenigstens eine zweite, besser mehrere Elternpflanzen braucht. Bei offener Bestäubung durch Insekten erhält man, wenn andere blühende Strauch-Pfingstrosen in der Nähe sind, unweigerlich Hybriden. Wir lösen das Problem derzeit, indem wir mehrere Mutterpflanzen halten, die Knospen vor dem Aufblühen mit selbst genähten Polyester-Organza-Säckchen einbinden, nach dem Erblühen den Pollen ernten, diesen in einer Tasse mischen und diese Mischung mittels eines Pinsels auf die Blüten mit den abgedeckten Narben auftragen. Anschließend wird sofort wieder abgedeckt. Wird Pollen nicht sofort verwendet, muss er getrocknet werden. Handbestäubte Blüten werden bis zur Ernte mit Hängeetiketten gekennzeichnet.

Zur Samenreife im späten August bilden die Fruchtblätter schöne fünfstrahli-ge Sterne aus, die P. rockii subsp. linyanshanii zierend über dem Laub hält. Wenn sich die mittlere Naht der Fruchtblätter öffnet, kann mit der Samenernte begonnen werden. Die Samen sind zu diesem Zeitpunkt von einer honigartigen, klebrigen Masse umgeben. Sie sind je nach Reifegrad reingelb, bräunlich und auch schwarz gefärbt. Völlig getrocknet sind die Samen schwarz. Sofort ausgesät, kann man im nächsten Frühjahr erste Keimerfolge verzeichnen. Meist liegen die Samen aber noch ein Jahr über, bis das erste Keimblatt erscheint. Die Keimung erfolgt epigäisch, das heißt zwei Keimblätter umgeben das erste Jugendblatt, ähnlich wie bei einer Bohne oder Tomate. Diese besondere Art der Keimung weisen nur ganz wenige Pfingstrosen auf, wie die Stauden Paeonia tenuifolia aus den östlichen europäischen Steppengebieten und P. brownii aus den USA. Nach der Keimung muss man wenigstens fünf Jahre auf die erste Blüte des Strauchs warten.


Zehn Jahre Erfahrungen

Im Herbst 1993 erhielten wir Samen von Paeonia rockii subsp. linyanshanii unter der Angabe, sie seien in der Natur in Baokang County, Provinz Hubei, gesammelt worden. Die Samen keimten im Frühjahr 1995.

Unsere Sträucher sind 2005 zehn Jahre alt geworden. Nur ein Strauch aus der Sämlingsreihe wurde nicht umgesetzt. Dieser Strauch hat nunmehr eine Höhe von 2 m erreicht und scheint weiter in die Höhe wachsen zu wollen. Schon 2005 brauchten wir eine Leiter, um in die Blüten schauen zu können. Die umgesetzten Päonien sind etwa 1,5m hoch geworden, haben sich harmonischer verzweigt und sind dementsprechend breiter geworden. Wir sind gespannt, welche Größen diese Pflanzen erreichen werden. muss man an P. rockii subsp. linyanshanii einen Reinigungsschnitt vornehmen, ist es gut, eine besonders scharfe Schere mit Übersetzung zur Hand zu haben. Das Holz dieser Art ist deutlich härter als das aller anderen Strauch-Pfingstrosen, die wir kennen.

Als wir 2001 die zu eng sitzenden Sämlinge verpflanzten, verletzten wir natürlich die horizontal im Boden wachsenden Wurzeln. Der Pflanzplatz wurde anderweitig genutzt und aus Platzmangel wieder mit Päonien einer anderen Art bepflanzt. Nach etwa zwei bis drei Jahren erschienen rund um diese anderen Päonien wieder Austriebe von P. rockii subsp. linyanshanii, die belassen wurden und im Jahr 2005 auch schon geblüht haben.

Um den Pflanzenwirrwarr zu entflechten, wurden 2005 „archäologische Grabungen" vorgenommen. Dabei stellte sich heraus, dass die im Jahr 2001 verletzten Wurzelreste von P. rockii subsp. linyanshanii nicht verrottet waren, sondern an der Schnittstelle des Spatens neue Austriebe gebildet und diese annähernd senkrecht aus dem Boden geschoben hatten.

Eine waagerecht wachsende Wurzel verfolgten wir unter einem Plattenweg hindurch. Unter den Druckstellen der Gehwegplatte hatten sich an der Wurzel Triebknospen gebildet, die nun, da wir die Platte entfernt haben,

hoffentlich austreiben werden. Wir vermuten, dass mechanische Reize die Triebknospenbildung an der Wurzel auslösen.

Wir halten diese Beobachtungen für bedeutsam, befähigt diese Eigenschaft eventuell doch den Gartenbau, diese Pflanze beispielsweise durch Wurzel-schnittlinge zu vermehren. Wir kennen bisher keinen anderen Vertreter von Päonien der Sektion Moutan, der diese Regenerationsfähigkeit aus verbliebenen Wurzelresten aufweist.

Abgesehen davon, welcher Name sich durchsetzen wird, ist die Päonie mit den ganzrandigen Blättern, den riesigen weißen Blüten und den schwarzroten Basalflecken eine für unsere Gärten äußerst empfehlenswerte Bereicherung. Ihre vergleichsweise mächtige Gestalt verdient als einzige die Bezeichnung „tree peony", Baumpäonie. Zur Blüte ist der Großstrauch ein atemberaubender, unvergess-licher Anblick, aber auch nach der Blüte ziert er mit dekorativem Laub.

Irmtraud Rieck


Literatur

McLewin, Will (2006): Peony rockii and Gansu Mudan. Wellesley-Cambridge Press, Boston, USA, and Stockport, UK (mclewin@phedar.com), ISBN 0-9614088-3-9

Rieck, Irmtraud; Hertle, Friedrich (2002): Strauchpfingstrosen. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart. ISBN 3-8001-3657-0

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Gartenpraxis Nr. 6/2006 gehölze


Ein taxonomischer Tango

Bei diesem Taxo-Tango gibt es zwei Haupttänzer, die Professoren Hong Tao und Hong De-Yuan. Angefangen hat wahrscheinlich alles 1914 mit John Reginald Farrer, der eine Päonie mit vorwiegend ganzrandigen Fiedern sammelte, die nie benannt wurde, inzwischen „Farrer no. 8" genannt und im Herbarium des Botanischen Gartens Edinburgh aufbewahrt wird.

1990 veröffentlichen Haw und Lauener eine P. suffruti-cosa subsp. rockii, benannt zu Ehren des Sammlers Joseph Rock, geben „Farrer no. 8" als Holotyp an und beschreiben sowohl ganzrandige als auch gelappte Fiedern.

1992 erheben T. Hong und J. J. Li die von Haw und Lauener beschriebene Pflanze P. rockii (S. G. Haw und L. A. Lauener) zur Art.

1994 unterscheiden T. Hong und G. L. Osti erstmals zwischen den Pflanzen mit ganzrandigen Fiederblättchen und gelappten Fiedern und nennen die ganzrandige Form P. rockii subsp. linyanshanii.

1997 nennt J. J. Halda den Strauch P. suffruticosa subsp. rockii var. linyanshanii.

1998 bezeichnet Hong De-Yuan die Päonie mit den ganzrandigen Fiederblättchen („Farrer no. 8") als P. rockii subsp. rockii. Die gelappte Form nennt er P. rockii subsp. taibaishanica (nach dem Berg Tal Bai Shan, wo diese Unterart vorkommt).

2005 berufen sich Hong De-Yuan & Pan Kai-Yu bei der ganzrandigen Form, der häufigeren, auf „Farrer no. 8", nennen den Strauch P. rockii und korrigieren sich bei der gelappten Form, die statt subsp. taibaishanica nun P. rockii subsp. atava nach der von Brühl 1896 beschriebenen P. moutan Sims subsp. atava heißt.

2005 verteidigen X. Y. Zhu und T. Hong den Namen P. rockii subsp. linyanshanii.

Korrekterweise müssen wir erwähnen, dass sich auch Stephen G. Haw mit noch einer Namensgebung zu Wort gemeldet hat, doch spielt sie in der gegenwärtigen Diskussion keine wesentliche Rolle.

Besonders im Jahr 2005 wurde die Diskussion interessant. Hong De-yuan und Pan suchten nach ihren Angaben zweimal nach dem Herbarblatt (Holotypus) von Hong und Osti (1994), konnten es aber nicht finden. Es blieb bisher merkwürdigerweise verschwunden. Deshalb beriefen sie sich auf „Farrer no. 8" als „Neotypus" für P. rockii, dem Taxon mit den ganzrandigen Fiedern.

Darauf meldeten sich in der renommierten Zeitschrift „Taxon" im August 2005 X. Y. Zhu und T. Hong zu Wort. Die Autoren geben zu, bei der Veröffentlichung 1992 und 1994 Fehler nach den Regeln der Botanik gemacht zu haben, indem sie die ganze Veröffentlichung von Haw und Lauener von 1990 zitierten und nicht nur den Teil P. suffruticosa subsp. rockii betreffend. Sie korrigieren sich, verteidigen den Namen P. rockii subsp. linyanshan, weisen

den Neotypus von Hong De-yuan und Pan zurück und bestimmen einen anderen Holotypus. Ein höchst komplizierter Vorgang, der womöglich einen botanisch geschulten Juristen zur Abfassung erfordert hat?

Welcher Name gilt nun? Nach unseren Vermutungen ist das taxonomische Tauziehen noch nicht beendet. Neuen Wind in die Diskussion wird Will McLewin bringen. In seinem 2006 erscheinenden Buch „Peony rockii and Gansu Mudan" führt er an, dass er in Zusammenarbeit mit Chen De-zhong (s. Gp Nr. 5/1998) an den verschiedenen Naturstandorten in China Zwischenformen zwischen der ganz-randigen und der gelappten Form gefunden hat. Er nennt die subsp. linyanshanii und die subsp. taibaishanica „Extremformen" der ansonsten gleichen Species und plädiert deshalb für die Namen „P. rockii forma linyanshanii" und „P. rockii forma taibaishanica". Außerdem weist er durch umfangreiche Quellenstudien nach, dass bei der bisherigen Namensgebung weiteres, bedeutsames Herbarmaterial übersehen wurde. Es bleibt somit weiter spannend, welcher Name international anerkannt werden wird.


1 Paeonia rockii subsp. taibaishanica.

2 Paeonia rockii subsp. linyanshanii.

3 Eine zehnjährige Paeonia rockii subsp. linyanshanii hat sich im Chinagarten des Luisenparks Mannheim bestens entwickelt.

4 Die geöffnete Blüte zeigt ihre auffallenden schwärzlichen Basalflecken.

5 Vor dem Aufblühen ist manche Knospe rosa überhaucht.

6 Im zeitigen Frühjahr schieben sich die Blütenknospen aus den schützenden Knospenschuppen heraus.

7 Glanzkäfer naschen am Pollen.

8 Die Samenkapsel entlässt schwarze glänzende Samen.

9 Der zweijährige Sämling von Paeonia rockii subsp. linyanshanii besitzt ein gut entwickeltes Wurzelwerk und mehrere Laubblätter.

10 Die Sämlinge keimen epigäisch. Die beiden Keimblätter umgeben das erste Jugendblatt.

11 An der Schnittstelle bildet sich aus der fleischigen Wurzel eine neue Pflanze. Der Wurzelspross treibt nahezu senkrecht aus dem Boden.

12 Eine waagerecht wachsende Wurzel hat unterhalb der Druckstellen von Steinplatten Triebknospen gebildet. Diese Eigenschaft der Päonie bietet die Möglichkeit der raschen und vergleichsweise einfachen Vermehrung, so dass diese Strauch-Päonie wohl bald allgemein erhältlich sein könnte.

Das Herbarblatt „Farrer no. 8" aus dem Herbarium des Botanischen Gartens Edinburgh.


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Gp-Basics

In zwei Beiträgen berichtete Irmtraud Rieck über die Strauch-Päonien Chinas. In Heft 3/1996 erschien „Chinas wilde Mu Dan", im Internet auf der Gp-Homepage erhältlich und leicht zu finden durch Eingabe des Webcodes gp552. In Heft 5/1998 erschien „Strauch-Päonien aus Gansu", auf der Homepage www.gartenpraxis.de schnell zu finden durch Eingabe des Webcodes gp553.