Claudia Vierle : Camillo Schneider - Kapitel 12

12. Camillo Schneider als Fachmann und als Zoon politikon

Schneider scheint kaum direkte Verbindung zum Heimatschutz gehabt zu haben, ebensowenig läßt sich irgendein Interesse an der Naturschutzbewegung, die in Deutschland in enger Verbindung zum Heimatschutz stand, nachweisen. Zwar propagierte er zu Anfang des Jahrhunderts die Abkehr vom Historismus hin zu einer deutschen Gartenkunst, die ihre Wurzeln im einfachen, ungekünstelten Bauerngarten haben sollte. Sein Vorbild war allerdings nicht der Garten eines Kleinbauern, sondern ein größerer Garten, wie der am elterlichen Gutshaus gelegene, große, parkähnliche Garten. In Kontrast zu Natur-und Heimatschutz stand auch seine Vorliebe für den Einsatz fremder oder neuer, möglichst farbenprächtiger Zierpflanzen als Blickfang in Garten und Park.

Schneiders Interesse an der Botanik, speziell an der Dendrologie, resultierte daher zunächst aus seinem Anspruch, daß ein Gartengestalter das Hauptgestaltungsmaterial, die Pflanzen, genau kennen müsse, um zu guten Arbeitsergebnissen zu kommen. Doch nahm ihn die wissenschaftliche Seite der Dendrologie so gefangen, daß er ihr einen Großteil seiner Arbeitszeit widmete und schließlich intensive taxonomische Forschungen betrieb, deren Resultate in Fachkreisen allseits anerkannt waren.

Bei seinen systematischen Arbeiten wurde stets Schneiders zuverlässige und gründliche Arbeitsweise gewürdigt. Viele seiner Bücher schlugen eine Brücke zwischen der wissenschaftlichen Botanik und dem Umsetzungsorientierten Gartenbau. Auch sein zweibändiges Werk über die Laubgehölze sollte sowohl für Botaniker als auch für Gartenbauer als Nachschlagewerk zu verwenden sein. Systematisch sind viele seiner durchgeführten Pflanzenbestimmungen inzwischen überholt, doch fällt beim Durchblättern die für die damalige Zeit ausgezeichnete, reichhaltige Illustration auf. Einen besonderen Wert stellen die umfangreichen speziellen Pflanzenlisten dar, die sich, nach unterschiedlichen Gesichtspunkten wie Blütenfarbe, Blattfärbung, Blattgröße etc., gegliedert, im Anhang der „Kulturhandbücher" finden.

Sein Interesse an der Dendrologie in Verbindung mit ihrer Umsetzung in der Gartengestaltung führte Schneider dazu, sich der Entdeckung und Verbreitung „neuer" klimatisch geeigneter Pflanzen zuzuwenden. Diese Passion und eine gewisse Reiselust drängten ihn zu seinen Exkursionen, auf denen er, ganz in der Tradition seiner englischen und französischen Vorbilder, als „plant-hunter" auftrat. Hierbei ließ Schneider nur wenig Interesse an pflanzensoziologischen Aspekten erkennen. Ihn interessierte hauptsächlich ihre mögliche Verwendung in der Grünfläche. Sein Augenmerk richtete sich daher auf Zierwert, Widerstandskraft und gute Wüchsigkeit der Exemplare unter mitteleuropäischem Klima. Er war stets am Kulturschatz der bereisten Länder interessiert und beurteilte sie relativ vorurteilsfrei. Er versuchte sogar, negative Vorurteile auszuräumen, wie seinen Reiseberichten aus Osteuropa zu entnehmen ist.

Mit seinen vielen Reisen und den Bekanntschaften, die er dort mit Menschen anderer Kulturkreise machte, läßt sich eine Befürwortung der in Deutschland in den Zwanzigern aufkeimenden Rassenideologie, die sich bei einigen von Schneider auf fachlichem Gebiet positiv beurteilten Gartenplanern zunehmend offenbarte [Anm.#345: ' Zu nennen wären hier beispielweise Paul Schultze-Naumburg oder Willy Lange. ], kaum vereinbaren. Sein Bild war gewiß eurozentrisch, noch einer kolonialistischen Sichtweise verhaftet. Aber seine Bemerkungen über andere Länder und Sitten haben niemals einen abwertenden Tenor. Beispielsweise beschäftigte er sich in China zwar mit der asiatischen Gartenkunst, kam aber schließlich, obwohl er für die europäische landschaftliche Gartengestaltung jede Miniaturisierung ablehnte, zu dem wertneutralen Ergebnis, daß ein Europäer diese Kunstform nicht ausreichend verstehen könne. Trotz seiner langjährigen Auslandaufenthalte wurde er nie zum Weltbürger, der auf nationale Zugehörigkeiten verzichten, wenn nicht gar herabsehen konnte, sondern blieb immer seiner Nationalität verhaftet und verstand sich als Deutscher, allerdings frei von chauvinistischen Untertönen.

Die von Schneider mitinitiierte Abkehr von der historistischen Gartengestaltung hin zum „Neuen Garten" wurde ihm im „Dritten Reich" positiv angerechnet. Dabei wurde übersehen, daß Schneiders Ansichten nie nationalistische Tendenzen aufwiesen, sondern allenfalls auf nationalen Beweggründen beruhten. Im Vergleich zur in die Begrifflichkeit eingegangenen „englischen" und „französischen" Gartenkunst wollte er eine gleichrangige „deutsche" Gartenkunst etablieren.

Inwieweit Schneider nationalsozialistischem Ideen- und Gedankengut anhing, läßt sich nur ansatzweise rekonstruieren. Da er nicht in die NSDAP eintrat, schien er einige Bedenken gegen die Parteiideologie gehabt zu haben. Diese Abstinenz belegt eine Freiheit von opportunistischem Verhalten, aber auch Distanz zu Politik insgesamt. Ein Gegner des Nationalsozialismus scheint Schneider keinesfalls gewesen zu sein, zu eng ist seine Verwicklung in die Strukturen dieser Zeit. Eher ist er als „unpolitischer" Mitläufer einzuordnen, der sich mit einigen Aspekten der braunen Ära durchaus anfreunden konnte.

Schneider strebte stets nach geregelten, harmonisierten „Verhältnissen" im fachlichen Bereich. In dieses Bild passen sowohl seine architektonische und landschaftliche Elemente integrierende Theorie zur Gartengestaltung als auch seine taxonomischen Arbeiten, verbunden mit seinem Engagement in Nomenklaturausschüssen. Schneiders konformistisches Verhalten mag daher auch ein Produkt seiner grundlegenden Geisteshaltung gewesen sein, alles in ein System zu integrieren. Gerade dieses Bedürfnis konnte durch die ausgeprägten nationalsozialistischen Hierarchien befriedigt werden.

[Pläne]