Claudia Vierle : Camillo Schneider - Kapitel 1

1. Camillo Schneider - weitgehend vergessen?

Das halbe Jahrhundert eines geteilten Europa machte es unmöglich, bestimmte Themen angemessen zu bearbeiten, die grenzüberschreitend beiderseits des „eisernen Vorhangs" verortet waren. Hierzu gehört z.B. die Biographie einer Person wie Camillo Schneider, dessen Leben vorrangig zwischen Sachsen, Österreich-Ungarn und Preußen angesiedelt war. Erwähnt man seinen Namen gegenüber jenen, die mit den Ergebnissen seines Schaffens vertraut sind, erlebt man leuchtende Augen. Unter jüngeren Fachleuten kennen nur einzelne Eingeweihte seine Arbeiten, für die meisten ist er unbekannt. Eine Würdigung seines Lebens und Werkes erscheint daher - fast 50 Jahre nach seinem Tod -überfällig. Die politische und ideologische Teilung Europas verhinderte die vollständige Rezeption der Person Camillo Schneider, da eine gründliche systematische Recherche auf beiden Seiten des „Vorhangs" nicht möglich war. Schneiders Werk und sein Einfluß auf Gartenbau, Gartenkunst und Botanik gehören ebenso wie das Vermächtnis der Baumschule Späth oder das Umfeld von Karl Foerster zu den „grünen Wurzeln" der wiedervereinigten Stadt Berlin. Ein weiterer Grund für die bisher fehlende Gesamtbetrachtung der Biographie Schneiders mag in der Vielfalt seiner Interessen liegen, so daß jeweils nur Einzelaspekte seines Werkes bisher gewürdigt wurden. Bei der Recherche zu Schneiders Lebenslauf galt es zunächst, das ganze Spektrum von Schneiders Aktivitäten aufzudecken.

Da seine gartentheoretischen Schriften zu Anfang des Jahrhunderts erschienen, später seine Äußerungen zur Gartengestaltung dagegen eher spärlich waren, wurde Schneider in der neueren Literatur nur in umfangreicheren Werken zur Garten(kunst)geschichte berücksichtigt. Als leidenschaftlicher Verfechter der Abkehr vom Historismus wird er beispielsweise in Richards Dissertation „Vom Naturideal zum Kulturideal" [Anm.#1: Winfried Richard 1984: Vom Naturideal zum Kulturideal. Ideologie und Praxis der Gartenkunst im deutschen Kaiserreich. Landschafts- und Umweltforschung Bd. 19, TU Berlin] zitiert. Regelmäßig und z.T. auch etwas ausführlicher findet Schneider in den fachhistorischen Arbeiten von Gröning und Wolschke-Bulmahn Beachtung. [Anm.#2: Vgl. z.B. Gert Gröning, Joachim Wolschke-Bulmahn 1986: Liebe zur Landschaft Teil II. München. Die Autoren behandeln hier einen Brief Schneiders vom 18.4.1937 an den Landesleiter der Reichskammer der Bildenden Künste, Gau Berlin (vgl. S. 54).] Doch auch in diesen Schriften werden nur Einzelaspekte aus dem Leben Schneiders abgehandelt. Eine Aufbereitung seiner Tätigkeit bei der Reichsautobahn fehlte bisher völlig.

Anders verhält es sich mit der Anerkennung seiner botanischen Werke. Sein Name findet sich in vielen botanischen biographischen Lexika. Hier wird die internationale Bedeutung seiner dendrologischen Aktivitäten offenbar, da relativ ausführlich über ihn in entsprechenden englischsprachigen Lexika berichtet wird. [Anm.#3: vgl. z.B.: Frans A. Staffen and Richard S. Cowan 1985: Taxonomic Literature Vol. V. Utrecht/Antwerpen, The Hague/Boston. Hier werden seine bedeutenderen botanischen Schriften und die Verwahrorte seiner Herbarsammlungen aufgeführt.] Diese Tatsache erklärt sich auch aus seinem mehrjährigen Aufenthalt in den USA (1915-1919).

Zeugnis von seiner umfangreichen schriftstellerischen Tätigkeit legen seine vielen Bücher ab, die sich teilweise sogar noch im Präsenzbestand von Bibliotheken befinden. Auch eine der wichtigsten Gartenzeitschriften aus den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts, die „Gartenschönheit", wurde neben Karl Foerster vor allem von Camillo Schneider geprägt. Zahlreiche Nachrufe in Gartenbauzeitschriften und botanischen Fachblättern belegen die Bedeutung Schneiders für den Gartenbau in Deutschland und Österreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dagegen sind nur wenige Schriftstücke und Unterlagen von Schneider selbst erhalten. Zum einen führten die Wirren zweier Weltkriege zum Verlust vieler Materialien, die Schneider zusammengetragen hatte, zum anderen existierten bei Schneiders Tod keine Hinterbliebenen, die sich um die Verwaltung eines etwaigen Gesamtnachlasses gekümmert hätten. So stieß Gert Grö-ning, Professor an der Hochschule der Künste in Berlin, bei einem Trödler zufällig auf einen Teilbestand von Originaldokumenten und farbigen Fotoplatten. Dieses Aktenkonvolut mit Unterlagen aus den Jahren 1913 -1947 und mehreren hundert Lumiereplatten [Anm.#4: Gert Gröning, Uwe Schneider 1996: Nachlässe von Gartenarchitekten des 19. und 20. Jahrhunderts als Grundlage freiraumplanerischer Forschung. Die Gartenkunst, 8. Jg., 124. ] wird von der Hochschule der Künste verwahrt und umfaßt ausführliche Unterlagen zu Schneiders Vorbereitungen seiner Exkursion nach China 1914. Danach werden die Dokumente spärlicher: ein paar private Briefe und Karten, Geburts- und Heiratsurkunde, ein Reisepaß, ausgestellt für Schneiders Reise nach China. Leider ist keine Liste der Photoplatten, die Auskunft über Aufnahmezeit und -ort geben könnte, auffindbar. Ein weiterer Bestand an Originalen, „0,5 lfd. m" [Anm.#5: Ebd. ], befand sich in der botanischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien, ist inzwischen aber verschollen. Einen ersten Versuch, die Bibliographie Schneiders zusammenzustellen, leistete Jörg Wacker im Jahr 1986. Wacker standen jedoch nur Bestände in den sozialistischen Ländern zur Verfügung. [Anm.#6: J. Wacker 1986: Camillo Schneider - Zur Erinnerung (Manuskript). Mahlow.Camillo Schneider — weitgehend vergessen? ]

In lebhafterer Erinnerung blieb Schneider in Tschechien, insbesondere in Pruhonice bei Prag, wo er seit seiner Tätigkeit in der österreichisch-ungarischen Monarchie immer wieder weilte. Drei Memoranden und diverse Briefe von Camillo Schneider werden heute im Botanischen Institut in Pruhonice aufbewahrt. Die Memoranden und eine kurze Biographie Schneiders wurden zusammen mit einer Liste seiner wichtigsten Bücher unter der Regie von Dr. Ludvik Helebrandt und Dipl Ing. Antonin M. Svoboda an diesem Institut publiziert.

Unterlagen über seine Tätigkeit während der Zeit des Nationalsozialismus sind im Bundesarchiv auffindbar, teils in den ins Bundesarchiv überführten Beständen des ehemaligen Berlin Document Centre, teils in den ebenfalls dort verwahrten Akten zum Reichsautobahnbau.

In der Gartenbaubibliothek der TU Berlin befindet sich der Bestand des Buchnachlasses von Camillo Schneider zusammen mit einem Zettelkatalog über diesen Buchbestand. Ein Brief von Camillo Schneider an Karl Foerster wird in dessen Nachlaß in der Staatsbibliothek von Berlin aufbewahrt. Weitere Briefe befinden sich am Conservatoire et Jardin botanique in Genfund am Arnold Arboretum bei Boston/Massachusetts.

Die vorliegende Arbeit versucht nun, die Lücken in Schneiders Lebenslauf zu schließen, und setzt die verfügbaren biographischen Daten in ihren geschichtlichen und persönlichen Kontext. Im Schlußkapitel soll versucht werden, zusammenfassend Schneiders Aktivitäten zu würdigen, wobei der Schwerpunkt hier auf seinen Ideen zur Gartengestaltung liegt. Der Anhang listet Schneiders Publikationen in Fachzeitschriften, geordnet nach Sachgebieten, auf. Zu seinen Büchern sind beispielhafte Rezensionen in Auszügen beigeordnet.

Diese Studie setzt also einen gartenbauhistorischen Schwerpunkt, in dem die biowissenschaftlichen Aspekte im Werk von Camillo Schneider weniger stark gewürdigt werden als die gartenbaulich-gestalterischen. Sie ist darüber hinaus von einer „Berlin-Potsdamer Brille" geprägt, da die Arbeit aus dem Blickwinkel dieser Region entstand.



Camillo Schneider

[Kapitel 2]