Hellmut Baumann

Die griechische Pflanzenwelt in Mythos, Kunst und Literatur

252 Seiten.- 4. Auflage , München, Hirmer, 1999. (Reise und Studium) ISBN 3-7774-6100-8.;

Ein wunderbares Buch mit sehr vielen phantastischen Abbildungen aus der griechischen Pflanzenwelt und tiefgründig recherchiertem Text. Ein Muss für jeden Pflanzenliebhaber. Als Auszug und Appetitmacher folgendes Kapitel, in dem die Pfingstrosen behandelt werden:

Dr. Carsten Burkhardt, www.paeonia.de/

Paeonia Seiten 100-101. Abb. 168-172

HEIL- UND ZAUBERKRÄUTER

Die Kenntnis der Heilkräfte der Natur verliert sich im grauen Altertum. Zufall oder natürlicher Trieb führten zur Auffindung von Heilkräutern, deren Verwendung dem Menschen Linderung brachte oder bestimmte Wirkungen hervorrief. Die wirksamen Stoffe der Pflanzen und deren pharmakologische Eigenschaften waren jedoch in der frühen Antike vorerst nicht bekannt. Vielmehr suchten die Menschen von damals Heilung in der Mystik und Magie, die freilich mit einer guten Naturbeobachtung, reichlicher praktischer Erfahrung und einer intuitiven Ahnung von den wirklich vorhandenen Kräften der Pflanzen einhergingen.

Mystik und Magie gingen von den Tempeln des Asklepios und anderer Heilgötter aus, ehe die Asklepiaden zu Kos ihre Tempel verließen und mit ihrem großen Lehrer der populären Heilkunde, Hippokrates, die koische Schule gründeten. War es in früheren Zeiten vor allem die Wundbehandlung gewesen, bei der die Heilkräfte der Pflanzen eingesetzt wurden, so ist es das Verdienst Hippokrates', erstmals die nichttraumatischen Krankheiten vom göttlichen Schicksal losgelöst, deren wirkliche Ursachen erforscht und diesen durch eine sorgfältig durchdachte medikamentöse Therapie entgegengewirkt zu haben.

Die klassische Heilpflanzenlehre begann freilich erst mit Theophrast und erreichte ihren Höhepunkt mit Dioskurides, dessen erstaunliche Kenntnis der Heilkraft der Pflanzen in der Tatsache gipfelt, daß er über 500 Kräuter gegen die Erkrankungen des menschlichen Körpers gezielt einsetzt. In seiner Arzneimittellehre ahnt man bereits die Einteilung der Pflanzen nach deren wirksamen Stoffen und ihren medizinischen Eigenschaften. Die Zahl der von Dioskurides erwähnten verschiedenartigen Erkrankungen des menschlichen Körpers übersteigt die fünfzig, von einfachen Kopfschmerzen über Gelbsucht und Milzentzündungen bis zu Nierensteinen und Darmgeschwüren, und gegen jede dieser Krankheiten hat er ein geeignetes Mittel. Allein 65 Heilkräuter sind hustenlindemd, unzählige sind wirksam bei Frauenkrankheiten, zur Wundbehandlung und als Gegengift bei Schlangenbissen. Die beachtenswerte Leistung Dioskurides' geht auch aus der Tatsache hervor, daß er schon zu seiner Zeit von den 6000 Pflanzenarten im griechischen Raum über 500 kannte und gezielt einsetzte, also mehr als 8 Prozent, während heute weltweit gesehen von den 600000 Pflanzenarten der Erde nur rund fünf Prozent pharmakologisch untersucht sind.

Zu den bahnbrechenden Ärzten der späteren Antike gehört Claudius Galenus, geboren im Jahre 131 n.Chr. zu Pergamon in Kleinasien. Er studierte die Philosophie des Aristoteles und des Theo-ohrast, wandte sich dann der Medizin zu und ging zu diesem Zwecke nach Smyrna, Korinth und Alexandrien. In Pergamon behandelte er die Gladiatoren, dann ging er mit 34 Jahren als Arzt nach Rom. Von seinen Schriften sind 147 noch erhalten, 125 gingen verloren. Sie stellen eine wertvolle Zusammenfassung der antiken Heilkunde und Arzneimittellehre dar und enthalten auch neue auf die Erfahrung am Krankenbett gestützte Theorien. Seine Phytotherapie ergänzte Galen durch den Einsatz einer großen Menge von Composita. Diese zusammengesetzten Pharmaka des Galen sind denn auch die Vorstufe zu den modernen Arzneimitteln, die als galenisch bezeichnet werden.


Von Homer bis Hippokrates

In der frühesten Zeit war die Kenntnis und die Pflege der Heilkunde ein Attribut der Götter. Dem jüngsten der griechischen Götter, Asklepios, Sohn des Apollo, wurden an besonders anmutig gelegenen Orten, an Flüssen, Quellen und in schattenspendenden Hainen eigens zu diesem Zwecke eingerichtete Heiligtümer gewidmet, wo die Hilfesuchenden in Opfern und Gebeten von ihren Leiden Gesundung suchten. Die Inkubationen durch die Erscheinung von göttlichen Offenbarungen konnten in Stellvertretung der Patienten auch von dritten Personen ausgeführt werden. Wie zu allen Zeiten an Wallfahrtsorten kamen auch in den Asklepios-Heiligtümern Wunderheilungen zustande. Aus den überlieferten sieben Krankengeschichten aus Epidaurus aus der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts v.Chr. erfahren wir, daß solche Heilungen tatsächlich stattfanden, wie die Heilung der einäugigen Ambrosia von Athen, die nach Aufschlitzen ihres kranken Auges und Einträufeln eines Heilmittels wieder sehen konnte, oder des sich seiner Glatze schämenden Heraius aus Mytilene, dem der Gott den Kopf einsalbte und ihm über Nacht die Haare wieder wachsen ließ.

Das Wahrzeichen des Asklepios war der Schlangenstab, denn die Schlange ist ein uraltes Symbol der Heilkunde, weil sie als erdverbundenes Tier zwischen oben und unten, zwischen Tag und Nacht, oder zwischen Leben und Tod ihr Dasein fristet. Asklepios wurde auf dem waldreichen thessalischen Pilion geboren und wuchs dort unter der Obhut des weisen Kentauren Chiron auf, der ihn in der Heilkunde unterwies. Dort lernte er die Kräfte der Wurzeln und die lindernden Säfte der Krauter kennen, die ihn zum helfenden Arzt machten. Aber auf dem Höhepunkt seiner Kunst angelangt versuchte er die menschlichen Schranken zu durchbrechen und Gestorbene wiederzuerwecken. Deshalb zog er sich den Zorn Hades' zu, der die Entvölkerung seines Schattenreichs fürchtete, und Asklepios, der des Todes Rechte an sich reißen wollte, mit dem Donnerkeil zerschmetterte.

Neben der rein mystischen Medizin entwickelte sich schon sehr früh unter den Göttern und Helden auch eine eigentliche Heilkunde. Diese basierte einerseits auf den tatsächlichen Heilkräften der Pflanzen; man glaubte aber auch, daß die Heilkräuter als Geschenk der Götter durch die Form ihrer Blätter oder Wurzeln ihre Indikation für die Heilung der betreffenden Organe des Menschen offenbaren, wie beispielsweise eine Pflanze mit herzförmigen Blättern zur Heilung von Herzkrankheiten gut sein sollte.

Einer der ältesten Heilgötter, Paeon, ist schon auf einer Linear-B-Tafel aus Knossos erwähnt. Er ist es, der Hades und Ares auf dem Olymp mit »linderndem Balsam« heilte, als diese im Kampf um Troja verwundet wurden. Den Namen Paeons, Paeonia, führte die Pfingstrose schon bei den alten Griechen. Über die blutstillende Wirkung der Päonie finden wir bei Homer (II. 5.902) ein hübsches dichterisches Gleichnis:

Schnell wie die weiße Milch

vom Feigenlab sich eindickt

gerann das Blut in der Wunde des Ares

unter der Wirkung Paeons Krauter.

In einem alten griechischen Lehrgedicht gilt die Pfingstrose als Königin der Krauter, welchen Namen sie dank der Pracht ihrer Blüte und der in ihr schlummernden Heilkräfte auch wirklich verdient. Nach diesem Gedicht sollen die Götter Apollo als Heilgott, für dessen Abstraktion der Götterarzt Paeon galt, die Pfingstrose übergeben haben, worauf sie dieser seinem Sohn Asklepios als Mittel gegen alle körperlichen Leiden weitergab. Wir treffen die Pfingstrose auch in Hekates Zaubergarten an, was auf Zauberkräfte der Pflanze schließen läßt. Die mythologische Gestalt der Hekate war ihrer Kräuterkenntnisse wegen besonders berühmt. Sie unterhielt im Lande Kolchis am Schwarzen Meer einen von hohen Mauern umgebenen Garten, wo sie zusammen mit ihrer Tochter Medea ihre giftigen Gewächse und Zauberkräuter zog, denen wir immer wieder in den homerischen Epen begegnen.

Eine sehr treffende Beschreibung der Pfingstrose mit ihren bandförmigen Blättern und den mandelförmigen Früchten mit Granaten ähnlichen Körnern, fünf oder sechs schwarze in der Mitte und die anderen purpurrot, besitzen wir auch von Dioskurides (3.147). Er verschrieb 10 bis 12 rote Körner in Wein gegen Magenverletzungen, während er die schwarzen gegen Alpdrücken empfahl. Die getrocknete Wurzel gab er als Geburtshilfsmittel, gegen Magenschmerzen, Gelbsucht, Nieren- und Blasenleiden. Plinius (25.4) kannte die Päonie von schattenreichen Gebirgen her, wo sie noch heute ihren Standort hat, und schreibt ihr ähnliche Heilwirkungen zu wie Dioskurides. Auch ihn irritierte die verschiedenartige Farbe der Beeren. Er verschrieb die roten Samen als blutstillendes Mittel und die schwarzen gegen Frauenkrankheiten. Theophrast (9.8.6) zählte die Pfingstrose zu den Heilpflanzen, bei deren Einsammeln gewisse Regeln zu beachten seien. Beim Ausgraben der Wurzel bestehe stets die Gefahr eines Leistenbruchs, was wohl auf die große Tiefe hindeutet, in der die Rhizome dieser Pflanze zu suchen sind.

Den Frauen stand die Natur- und Fruchtbarkeitsgöttin Artemis, Zwillingsschwester Apollos, bei. Sie verwendete eine ganze Reihe von Kräutern, die heute noch in der Frauenheilkunde gebraucht werden. Es fehlten sogar nicht die Rezepte zur Einleitung von Fehlgeburten. Dioskurides (3.137) will wissen, daß eine Schwangere, wenn sie über eine Lotwurz (Onosma frutescens) hinwegschreitet, eine Fehlgeburt erleide. Aristolochia hieß schon im Altertum die Osterluzei und bedeutete gute Niederkunft. Aphrodite, Göttin der Schönheit und der Liebe, galt als Helferin bei Geburten.

Eine Tochter der Ehe von Zeus und Hera ist ebenfalls mit der Heilkunde verbunden. Es ist die Geburtsgöttin Eileithyia, die mittels Krautern die Geburtswehen der Frauen hemmen oder beschleunigen konnte. Auch die dem Haupt des Zeus entsprungene Athene bewirkte Heilungen. Sie heilte Lykourgos aus Spana sein krankes Auge; seither galt sie als Beschützerin des Augenlichts und hieß die Eulenäugige. Apollo galt bei Homer als Schmerzensstiller. Selbst Hades, Gott der Unterwelt, seine Gattin Persephone sowie Dionysos, Gott des Weines, wurden in einzelnen Heiligtümern als Heilgötter verehrt. Ihre Heilmittel waren aber wohl vor allem Traumorakel.

Halbgötter und Heroen hatten ebenfalls Heilqualitäten. Herakles galt als Spender und Beschützer der Heilquellen. Ihm wird auch die Entdeckung des halluzinogenen Bilsenkrautes (Hyoscyamus albus) zugeschrieben. Die Hippokratiker gaben den Samen mit "Wein bei Fieber, Tetanus oder Frauenkrankheiten, wenn zum Beispiel nach einer Geburt Lähmungen auftraten. Dioskurides (4.69) bezeichnet das schlafmachende, Wahnsinn bewirkende Mittel als untauglich und verwendet den Saft lediglich zur Linderung von Schmerzen.

>Achillea< hieß im Altertum die Pflanze des Achilles, mit der er den verwundeten Telephos geheilt haben soll. Sie wurde als Schafgarbe identifiziert. Unter den 24 Schafgarben in Griechenland fällt die abgebildete Art Achillea agemtifolia mit den behaarten, lanzettförmigen, grauen Blättern vom Olymp durch besondere Schönheit auf.

Die Dioskuren Kastor und Pollux waren die ritterlichen Helfer der Menschen auf Schlachtfeldern und auf hoher See, wo sie von den Heilkräften der Natur reichlich Gebrauch machten. Sie leben fort in den Schutzheiligen der Ärzte und Apotheker, Kosmas und Damian, deren Verehrung bis in die frühchristliche Zeit zurückgeht und die heidnischen Kulte gewissermaßen ablöste.

Der Seher Melampus war als Priester des Apollo dazu bestimmt, bei den Frauen die Auswüchse des Dionysoskultes einzudämmen. Er verabreichte hierzu Milch von Ziegen, die Nieswurz (Helleborus cyclophyllus) gefressen hatten, was ernüchternd wirkte. Mit Nieswurz vergifteten die Verbände der delphischen Amphiktyonia das Wasser des Pleistos und bezwangen so nach zehnjähriger Belagerung die phokische Stadt Krissa, die wie Delphi die Gunst Apollos erstrebte.

Die beste Nieswurz wuchs auf dem Berge Oeta, wo Herakles seinen Scheiterhaufen errichten ließ, um den brennenden Schmerzen zu entgehen, die ihm sein mit dem Blut des Kentauren Nessos vergiftetes Gewand zufügte. Als Philoktetes dem sterbenden Herakles den Scheiterhaufen angezündet hatte, erhielt er von diesem den berühmten Bogen mit den tödlichen Giftpfeilen, um damit am Feldzug der Griechen gegen Troja teilzunehmen. Unterwegs wird jedoch Philoktetes von einer Giftschlange gebissen. Die offene Wunde verbreitete einen derart üblen Geruch, daß die Griechen den Helden auf der Insel Lemnos aussetzten und seinem Schicksal überlassen wollten. Es war ihnen jedoch geweissagt worden, daß Troja ohne den berühmten Bogen des Herakles nicht eingenommen werden könne. Sie entschlossen sich darauf, Philoktetes zusammen mit seinem Bogen doch nach Troja mitzunehmen und ihn dort dem Arzt Machaon zur Heilung zu übergeben. Dieser legte eine Pflanze in die gereinigte wunde, die Philoktetes in einen tiefen Schlaf versinken ließ. .....


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Abb. 168 Die in Euböa in der subalpinen Zone vorkommende weiße Pfingstrose Paeonia mascula hellenica

Abb. 169 Paeonia mascula aus Samos

Abb. 170 Paeonia peregrina aus dem Evros-Gebiet.

Abb. 171 Die rote Pfingstrose Paeonia parnassica aus dem Parnaß

Abb. 172 Die roten Samenkörner der Pfingstrose verschrieb Dioskurides gegen Magenverletzungen und die schwarzen gegen Alpdrücken.