Claudia Vierle : Camillo Schneider - Kapitel 6

6. 1915-1919: Dendrologische Arbeiten in Amerika

6.1 San Francisco

Erst in Amerika erhielt Camillo Schneider Ende April 1915 direkte Nachrichten aus Europa über die Kriegslage. Ursprünglich wollte er von den Vereinigten Staaten aus zurück nach Europa reisen, doch eine Überfahrt nach Europa war von hier nicht möglich. Daher versuchte er, sich „in den Vereinigten Staaten irgendwie häuslich einzurichten".. [Anm.#148: Ebd., 8.] Die Kontakte, die er schon in Wien und später auch aus China zu Alfred Rehder unterhielt, stellten sich nun als äußerst hilfreich bei der Stellensuche heraus. Über die Vermittlung von Rehder erhielt er „einen wissenschaftlichen Arbeitsplatz im Arnold-Arboretum der Harvard-Universität in Jamaica Plain bei Boston" [Anm.#149: Ebd., 8.], wo auch Rehder beschäftigt war. Das Arboretum stand damals unter der Leitung von Prof. C.S. Sargent [Anm.#150: Charles Sprague Sargent (1841-1927).], den die D.G. schon früh zum Ehrenmitglied ernannt hatte.



6.2 Das Arnold Arboretum

Im Mai 1915 trat Schneider die Stelle an diesem botanischen Institut an, wo er bis August 1919 blieb. C. S. Sargent konnte Schneider vor einer regulären Internierung bewahren, als die Vereinigten Staaten am 6. April 1917 in den Krieg eintraten. [Anm.#151: S.B. Sutton 1970: Charles Sprague Sargent and the Arnold Arboretum. Harvard University Press : Cambridge, Mass. 255.] So war Schneider offiziell zwar „interniert", konnte aber ungestört am Arnold Arboretum weiterarbeiten. Hier widmete er sich weiteren Gehölz Studien. Das Arnold Arboretum verfügte über eine große Anzahl winterharter Gehölze, die in Europa bisher noch nicht eingeführt waren.

Aus Boston im Bundesstaat Massachusetts schickte er die Sämereien, die er aus China mitgebracht hatte - verpackt in 110 Postpakete und 10 Postkisten - über eine neutrale Vermittlung nach Europa.



6.3 Publizistische Tätigkeit während seines USA-Aufenthaltes

Ab 1902 hatte sich Camillo Schneider schon bei seinen „dendrologischen Studien insbesondere mit der Gattung Syringa beschäftigt". Neue Arten lernte er zunächst bei Bearbeitung chinesischen Herbarmateriales für die Veröffentlichung des Arnold Arboretums ,Plantae Wilsonianae' kennen" [Anm.#152: C. Schneider 1927: Wenig bekannte Fliederwildarten. Die Gartenschönheit, 8. Jg., 141.] Der Name dieses umfangreichen Werkes über asiatische Gehölze resultierte aus der Tatsache, daß hierin das umfangreiche Herbarmaterial erfaßt wurde, welches der Engländer Ernest H. Wilson [Anm.#153: Wilson wurde von A. Henry, einem irischen Arzt, der sich jedoch vor allem als Botaniker und Sammler in Asien betätigte, in China eingeführt, ehe Henry 1900 nach England zurückkehrte. Camillo Schneider beschreibt Henry, den er wohl in England kennenlernte, als einen sehr angenehmen und hilfsbereiten Menschen „mit all den Vorzügen des Iren'. (C.Schneider 1930: Professor Augustine Henry (Nachruf). Die Gartenschönheit, 11. Jg., 125-126)] in mehreren Jahren in China gesammelt hatte. Wegen seiner Vorliebe für China hatte Wilson in Amerika den Spitznamen „China-Wilson" erhalten. An dem oben erwähnten Buch arbeitete, neben Sargent, Rehder, Schneider u.a., auch Wilson persönlich mit. [Anm.#154: C. Schneider 1930: Ernst H. Wilson (Nachruf). Die Gartenschönheit, 11. Jg., 235-239.] Camillo Schneider übernahm die Klassifizierung mehrerer Pflanzenfamilien für dieses Werk.

Den von ihm in China so sehr vermißten Postverkehr nach Europa nutzte er sofort nach seiner Ankunft in San Francisco, um einige Reiseberichte über China in deutschen bzw. österreichischen Magazinen zu publizieren. In den folgenden Jahren seines Amerikaaufenthaltes erschienen von ihm nur noch rein wissenschaftlich gehaltene dendrologi-sche Abhandlungen. Korrespondierend zu seiner taxonomischen Arbeit an den „Plantae Wilsonianae" wurden in der „Österreichischen Botanischen Zeitschrift" und in den „Mitteilungen der D.D.G." diverse Artikel veröffentlicht. In seinen Arbeiten zur Berbe-rismonographie beschränkte er sich notgedrungen auf chinesische Arten. Hiervon zeugten seine „Beiträge zur Kenntnis der chinesischen Arten der Gattung Berberis (Euberberis)", die von 1916-18 in der „Österreichischen Botanischen Zeitschrift" erschienen. Weitere Artikel zu Ulmen-, Birken- und Weidengewächsen folgten.

Von C. S. Sargent bekam Schneider den Auftrag, die amerikanischen Weiden taxono-misch zu erfassen und einen Bestimmungsschlüssel zu erstellen. Zunächst beschäftigte er sich nur ungern mit dieser Materie, da er lieber seine Berberismonographie vervollständigt hätte. Doch während er sich in das Sachgebiet einarbeitete, erwachte zunehmend sein Interesse an diesem taxonomisch schwierigen Sujet. Die Ergebnisse seiner Salix-Studien veröffentlichte er im hauseigenen „Journal of the Arnold Arboretum" und in der „Botanical Gazette". In den USA erschienen mehrere Publikationen von ihm in verschiedenen dortigen Zeitschriften und Periodica, hauptsächlich über seine dendrolo-gischen Arbeiten am Arnold Arboretum.





7. 1919-1920: Rückkehr nach Wien

Im Oktober 1919 verließ Camillo Schneider die USA und kehrte nach Wien zurück. [Anm.#155: Als eine Konsequenz des Friedensvertrages in Saint-Germain-en Laye vom 10. September 1919 zwischen Deutsch-Österreich und den Ententestaaten wurde die k.u.k. Monarchie abgeschafft und der Bundesstaat Österreich mit der Hauptstadt Wien etabliert] Kurz darauf besuchte er eine Tagung der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft in Braunschweig, wo Graf Schwerin den Heimgekehrten begrüßte. [Anm.#156: A. Steffen 1951: Camillo Schneider zum Gedächtnis. Deutsche Baumschule, 3. Bd., 58.]

In Österreich vermittelte sein früherer Mentor, Prof. Dr. Ritter von Wettstein, der Präsident der Österreichischen Gartenbau-Gesellschaft, Camillo Schneider 1920 eine Stelle als Generalsekretär bei dieser Gesellschaft. [Anm.#157: K. Wagner 1941: Camillo Schneider 65 Jahre alt. Gartenbau im Reich, 22. Jg. der Gartenschönheit, 77. Für seine kurze Tätigkeit ab dem 18. November 1919 bei der Gartenbaugesellschaft erhielt Schneider für 2 Stunden Arbeit täglich 1200 Kronen im Monat, „was jetzt grade reicht, um das Heizmaterial zu bezahlen." (Brief von Schneider an Rehder vom 16.11.1919, Teilnachlaß Camillo Schneider - HdK Berlin)] Sofort nach seiner Ankunft in Wien trat Schneider zudem wieder seinen Posten als Generalsekretär der Dendrologischen Gesellschaft für Österreich-Ungarn (D.G.) an. Aufgrund der neuen politischen Situation war die D.G. in ihrer ursprünglichen Form jedoch nicht mehr handlungsfähig. Die Mitglieder gehörten nun verschiedenen Nationalstaaten [Anm.#158: Die k.u.k. Monarchie in ihren ehemaligen Grenzen war bei Schneiders Rückkehr nicht mehr existent. Aus großen Teilen des ehemaligen Herrschaftsbereiches gingen selbstständige Staaten hervor: Tschechoslowakei, Polen, Ungarn, Jugoslawien. In dieser neuen politischen Konstellation war es für die zumeist adeligen Mitglieder der D.G. nicht mehr opportun, in einer noch auf die ehemalige österreichisch-ungarische Monarchie bezogenen Gesellschaft aktiv zu werden.] an. Nachdem die Formulierung neuer gemeinsamer Ziele scheiterte, wurde die D.G. ein Jahr nach Schneiders Rückkehr, Ende 1920, aufgelöst. [Anm.#159: R. Zander 1951: Camillo Schneider (Nachruf). Garten und Landschaft, 61. Jg., H. 2, 12-13.] Obwohl die österreichisch-ungarische D.G. nicht mehr bestand, entschlossen sich der ehemalige Präsident der D.G., Ernst Graf Silva Tarouca, und Camillo Schneider dazu, eine ihrer Publikationen neu aufzulegen. Durch Schneiders Engagement gelang es, 1922 eine völlig überarbeitete Ausgabe des ersten und des zweiten Bandes der „Kulturhandbücher für Gartenfreunde" herauszubringen, 1923 folgte der überarbeitete dritte Band. [Anm.#160: Ernst Graf Silva Tarouca, Camillo Schneider (Hg.) 1922: Unsere Freilandstauden, Bd. l der Kulturhandbücher. Wien/Berlin. 3. Aufl.; - 1922: Unsere Freiland-Laubgehölze, Bd. 2 der Kulturhandbücher. Wien/Berlin. 2. Aufl.; - 1923: Unsere Freiland-Nadelhölzer, Bd. 3 der Kulturhandbücher. Wien/Berlin. 3. Aufl. Durch den Erfolg dieser Reihe ermutigt, editierte Schneider diese Bücher bis zur fünften und letzten Auflage in den Jahren 1933 und 1934.]

Graf Silva Tarouca gründete in der Tschechoslowakei [Anm.#161: Trotz Krieg und Auflösung der D.G. war der umfangreiche Pflanzenbestand in Pruhonitz, das nun zur Tschechoslowakei gehörte, erhalten geblieben, was dem Engagement des Obergärtners F. Zeman zu verdanken war. Zeman hatte durch den Verkauf von Pflanzen die materielle Basis für den Fortbestand des Gartens gesichert.] als Folgeinstitution der aufgelösten österreichisch-ungarischen Gesellschaft eine nationale dendrologische Gesellschaft, deren Vorsitz er innehatte. Schneider kommentierte diese Neukonstituierung sehr wohlwollend, da diese Gesellschaft „im Sinne unserer alten Gesellschaft für Österreich-Ungarn tätig sein" wolle, [Anm.#162: C. Schneider: Vorwort. In: E. Silva Tarouca, C. Schneider (Hg.) 1922: Kulturhandbücher für Gartenfreunde 2. Bd., Unsere Freiland-Laubgehölze. Wien/Berlin. 2. Aufl.] und nahm aktiv an ihrer Entwicklung teil. So verfaßte er 1924 drei Memoranden im Auftrag der tschechischen Republik. Zwei dieser Stellungnahmen erörterten die Zielsetzungen der in Prag bestehenden Dendrologischen Gesellschaft [Anm.#163: C. Schneider 1923: Memorandum über die Tätigkeit der Dendrologischen Gesellschaft in Prag; -1924: Memorandum über die Ziele und Zwecke der Dendrologischen Gesellschaft in Prag und ihrer künftigen Ausgestaltung. Berlin-Charlottenburg. ], die dritte beschäftigte sich mit der Errichtung eines zentralen Landesarboretums, das in dieser Form jedoch nie verwirklicht wurde. [Anm.#164: C. Schneider 1924: Memorandum über die Schaffung eines großen Arboretums. Berlin-Charlottenburg. Schneider befürwortete hierin die Schaffung eines zentralen Landesarboretums.]

Schneider begrüßte 1920 die Neugründung einer Gartenbauzeitschrift der „Gartenschönheit", in Berlin, da er sich wieder intensiver der Gartenbaujournalistik zuwenden wollte.

[Kapitel 8]