Claudia Vierle : Camillo Schneider - Kapitel 2

2. 1876-1899: Kindheit und Jugend

2.1 Kindheit in Sachsen

Camillo Karl Schneider wurde am 7. April 1876 auf dem Rittergut Gröppendorf bei Oschatz/Zeitz [Anmerkung Burkhardt 2002: Oschatz liegt nicht bei Zeitz, sondern eher bei Riesa, hier muß eine flasche räumliche Zuordnung geschehen sein.] in Sachsen als Sohn Anna Maria Schneiders, geborene Reschenbach, und Paul Carl Maximilian Schneiders geboren. Sein Vater bewirtschaftete das sich im Besitz der Familie befindliche landwirtschaftliche Gut. Hier verbrachte Camillo Schneider eine glückliche Kindheit nahe der Pflanzen- und Tierwelt:

„Der erste Baum, den ich schon als Kind lieben lernte, war eine Linde. Nahe dem elterlichen Gutshofe stand eine Gruppe aus großen, alten Sommerlinden und beschattete einen Platz an einer Mauer, den wir Kinder gern aufsuchten, zumal wenn an warmen Vorsommertagen der süße Duft der Blüten die Bäume durchwogte und zahllose Bienen die Kronen durchsummten. " [Anm.#7: C. Schneider 1927: Baumcharaktere. Die Gartenschönheit, 8. Jg., 197.]

Diese intensiven Naturerfahrungen und sein damaliges Interesse für Insekten ließen in ihm den Entschluß reifen, ein Studium der Naturwissenschaften zu beginnen. Er wurde in seinem Berufswunsch durch seinen älteren Bruder Karl Camillo, geboren 1867, bestärkt, der ein Studium der Biologie mit Schwerpunkt Zoologie absolvierte. Wirtschaftliche Mißerfolge zwangen seinen Vater zur Aufgabe des Gutes, so daß er die akademische Ausbildung seines jüngeren Sohnes nicht mehr finanzieren konnte. Camillo Karl mußte daher mit 16 Jahren das Gymnasium mit der Obersekundarreife verlassen. Eine Universitätslaufbahn blieb ihm demzufolge verwehrt. Statt dessen war er gezwungen, möglichst bald seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

2.2 Ausbildung zum Gärtner

Um seine naturwissenschaftlichen Interessen ansatzweise zu realisieren, entschloß er sich zu einer Ausbildung als Gärtner. Er absolvierte seine Lehrzeit in der Baumschule Herrmann in Zeitz und besuchte von 1894 bis 1896 die Gärtnerlehranstalt Laubegast [Anm.#8: Die Gartenbauschule wurde 1892 in Laubegast vom „Gartenbauverband für das Königreich Sachsen" gegründet.] in Dresden-Striesen unter dem damaligen Leiter Max Bertram [Anm.#9: Max Richard Eduard Bertram (1849-1914) war in den Jahren 1892 bis 1908 Direktor in Laubegast und gab Unterricht in Planzeichnen, Feldmessen sowie Landschaftsgärtnerei (G. Gröning, J. Wolschke-Bulmahn 1997: Grüne Biographien. Hannover).1876-1899: Kindheit und Jugend], der in ihm insbesondere das Interesse an der Gartengestaltung weckte. Darüber vernachlässigte er jedoch nicht die Botanik, er bemühte sich vielmehr darum, Gartenkunst und Pflanzenkunde sinnvoll miteinander zu verbinden. Die praktische Umsetzung von Gestaltungsideen konnte seiner Meinung nach nur mit einer ebenso fundierten Kenntnis der zu verwendenden Pflanzen gelingen. In den folgenden vier Jahren wechselte er des öfteren seinen Arbeitsplatz, um sich eine breite Wissensbasis anzueignen. Er arbeitete in den Botanischen



Gärten von Berlin [Anm.#10: Alter Botanischer Garten, später umgewandelt in den Kleistpark. ] und Greifswald, wo er zunächst seine Pflanzenkenntnisse hinsichtlich seltener Spezies vertiefte. In der Stadtgärtnerei Berlin-Treptow lernte er die Prinzipien der damals gängigen landschaftlichen Gartengestaltung kennen. Mit dem damaligen Stadtobergärtner Karl Hampel [Anm.#11: Karl Hampel (1848-1930) sah in den gegen Mitte des 19. Jahrhunderts von Gustav Meyer aufgestellten Gestaltungsgrundsätzen den absoluten Höhe- und Endpunkt in der deutschen Gartengestaltung.], einem überzeugten Vertreter dieser Gestaltungsrichtung, verband ihn zeitlebens eine zwiespältige Beziehung, der er im Nachruf auf Hampel Ausdruck verlieh:

„Er (Hampel, Anm. d. Verf.) gehörte zu den Gründern des Vereins Deutscher Gartenkünstler, aus dem später die Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst hervorging. (...) Seine Bedeutung als Gartengestalter ist viel umstritten. Ich selbst habe ihn oft scharf bekämpft. Menschlich habe ich ihn immer achten müssen und ihn in den neunziger Jahren in Treptow als strengen, aber gerechten Vorgesetzten kennengelernt. "[Anm.#12: C. Schneider: 1930: Karl Hampel (Nachruf). Gartenschönheit, 11. Jg., 239.]

Nach einer kurzen Beschäftigung bei Heinrich Henkel in Darmstadt wechselte Schneider 1899 zu dem Gartenarchitekten Friedrich Mäcker in Berlin-Friedenau. Dort war er als Obergärtner in dessen Landschafts- und Dekorationsgärtnerei angestellt. Diese verantwortungsvolle Position gab ihm erstmals die Gelegenheit, gartengestalterisch tätig zu werden. Retrospektiv beurteilte er diesen Zeitabschnitt als Zäsur, ab der er sich als Gartengestalter ansah.[Anm.#13: R. Zander 1951: Camillo Schneider (Nachruf). Garten und Landschaft, 61. Jg., H. 2, 12-13.Camillo Schneider ] Zunehmend hinterfragte er seine bisherigen Anschauungen und gelangte über die Lektüre zeitgenössischer Literatur, die der alten, nur der Tradition des Landschaftsgartens verhafteten Schule negativ gegenüberstand, zu eigenen Ideen.



3. 1896-1900: Frühe publizistische Erfahrungen

3.1 Journalistik und Redaktionsarbeit in Berlin

Neben seiner praktischen Tätigkeit als Gartenarchitekt versuchte Schneider sich als Fachautor zu etablieren. Ab 1896 publizierte er mehrere Artikel zu pflanzenbezogenen Themen in den populärwissenschaftlichen Zeitschriften „Natur und Haus" und der „Gartenwelt", die beide von Max Hesdörffer [Anm.#15: Max Hesdörffer (1863-1920) arbeitete wie Schneider zunächst auch als Gärtner, bis er sich ab 1891 der Schriftstellerei zuwandte (G. Gröning, J. Wolschke-Bulmahn 1997: Grüne Biographien. Hannover).] herausgegeben wurden. „Natur und Haus" wandte sich laut Untertitel an „alle Liebhaber der Natur". Die „Gartenwelt" war auf den Bereich Gartenbau und Hobbygärtnerei spezialisiert.

Schneiders Artikel beschäftigten sich nicht ausschließlich mit gärtnerischen Belangen, sondern wiesen ein weites Spektrum unterschiedlicher Themenbereiche auf. Die Bandbreite seiner Veröffentlichungen reichte in „Natur und Haus" von zoologischen Beiträgen, mit Titeln wie „Der Eichbaum und seine Bewohner", „Massenhaftes Auftreten von Gnips caput medusae", „Schädliche Insekten im Blumengarten" und „Der Albatros", bis hin zur Reportage über eine moderne Nutzgeflügel-Zuchtanstalt [Anm.#16: C. Schneider 1898/1897: Der Eichbaum und seine Bewohner. Natur und Haus, 5. Jg.; - 1898/1899: Massenhaftes Auftreten von Gnips caput medusae. Schädliche Insekten im Blumengarten. Natur und Haus, 7. Jg.; - 1900/1901: Aus einer nach amerikanischen Vorbild eingerichteten Nutzgeflügel-Zuchtanstalt. Natur und Haus, 9. Jg.; - 1901/1902: Der Albatros. Natur und Haus, 10. Jg., 250-252. ]. Der Schwerpunkt seiner Arbeit konzentrierte sich jedoch auf botanische Themen [Anm.#17: Folgende Artikel zu botanischen Themen erschienen von Camillo Schneider in „Natur und Haus": C. Schneider 1898/1899: Die Schuppenwurz; - 1899/1900: Wertvolle neuere Wasserpflanzen; - 1900/1901: Sukkulenten. Der Fichtenspargel; - 1901/1902: Vegetationsbild des Wasserhahnenfußes.].

In der von Max Hesdörffer 1896 in Berlin gegründeten Gartenzeitung „Hesdörffers Monatshefte" publizierte Camillo Schneider im Erscheinungsjahr einen Artikel über Gymnogramme [Anm.#18: Gymnogramme sind sog. Gold- und Silberfarne, die hauptsächlich aus wärmeren Klimata stammen. C. Schneider 1897: Gymnogramme. Die Gartenwelt, 1. Jg., 476ff.1896-1900: Frühe publizistische Erfahrungen] in der Rubrik „Zimmergärtnerei", die er mit eigenen Zeichnungen der Farnwedel illustrierte (Abb. 2).

Abb. 1: Fiederblättchen von Gymnogramme chacrophylla, von Schneider selbst gezeichnet. [Anm.#14: C. Schneider 1897: Gymnogramme. Die Gartenwelt, 1. Jg., 479.]

Abb. 2: Pontederia montevidensis. Aufnahme: Camillo Schneider für die „Gartenwelt" [Anm.#24: C. Schneider 1898/1899: Wertvolle und neuere Wasserpflanzen. Gartenwelt, 3. Jg., 619]



Abb. 3: Weiher aus den Donauauen bei Wien, Aufnahme: Camillo Schneider, Anfang dieses Jahrhunderts. [Anm.#27: C. Schneider 1908: Landschaftliche Gartengestaltung. Leipzig. 30. ]

Die Zeitschrift wurde 1897 in „Gartenwelt" umbenannt, erschien nun wöchentlich und wurde in einem neuen, exklusiveren Layout verlegt, welches sich durch ein größeres Format, die Wiedergabe von farbigen Abbildungen und einem „künstlerisch ausgeführten Umschlag" [Anm.#19: N.N. 1897: An die Leser. Die Gartenwelt, 1. Jg., 488.] von der früheren Ausstattung unterschied. Camillo Schneider betätigte sich redaktionell in dieser Zeitschrift und schrieb regelmäßig Beiträge, die neben der Pflanzenkunde auch Rezensionen zu Gartenbauausstellungen zum Inhalt hatten. [Anm.#20: Sein erster Ausstellungsbericht betraf eine Chrysanthemen-Ausstellung in Steglitz im November 1897 (C. Schneider: Chrysanthemum-Ausstellung in Steglitz. Gartenwelt, 2. Jg., 119-120). ]

Gartengestalterische Aspekte fanden erstmals 1898 Erwähnung in zwei Artikeln, in denen er seine Eindrücke über die Rothschild'schen Gärten auf der Hohen Warte in Wien und die Parkanlage Schönbrunn bei Wien schilderte. Sein Text über Schönbrunn beschränkte sich nicht, wie bisher, auf eine einfache Beschreibung seiner Beobachtungen, sondern enthielt kritische Bemerkungen zu den geschilderten Fakten. Diese Kritikbereitschaft wird offenbar in Schneiders Vergleich des von ihm favorisierten Schönbrun-ner Palmenhauses mit dem Pendant im Berliner Botanischen Garten. Er kritisierte am Berliner Palmenhaus die ungünstige Konstruktion [Anm.#21: Das „Große Palmenhaus" in Berlin-Schöneberg wurde 1857 erbaut und galt bis 1900 als imposantes Wahrzeichen des Botanischen Gartens. Der schlechte Zustand der Pflanzen war vor allem ein Ergebnis des aus intensiver Bautätigkeit resultierenden Licht- und Luftmangels. Daher wurde bis 1910 nach und nach das Pflanzenmaterial von Schöneberg auf ein neues Gelände in Berlin-Dahlem umgesetzt, (vgl. A. Kneiding u.a. 1991: Botanische Gärten. Berlin) ] des Gebäudes, welche das Wachstum der Pflanzen einschränkte. Demgegenüber befanden sich die Pflanzen in Schönbrunn in einem besseren Pflegezustand. [Anm.#22: C. Schneider 1998/1899: Das große Palmenhaus in Schönbrunn bei Wien. Die Gartenwelt, 3. Jg., 78-79.]

3.2 Illustration mit der Kamera

Um die Jahrhundertwende hatte die Beschäftigung mit der Photographie noch die Aura des Reprotechnisch-Innovativen. Seit den ersten photooptischen Versuchen waren in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zwar schon große technische Fortschritte gemacht worden, doch beschränkte sich die Anwendung weitestgehend auf den gewerblichen Sektor, da die neue Technik als Hobby für die Mehrheit der Bevölkerung noch zu kostspielig war.

Die detailgetreue Abbildung der Natur und die Zeitersparnis gegenüber handgefertigten Skizzen bewogen Schneider, sich der Photographie zu widmen und die Aufnahmen in seinen Artikeln als Illustrationen zu verwenden. Neben Pflanzenaufnahmen (s. Abb. 3) hielt er auch Landschaftsmotive und Reiseeindrücke im Bild fest. Die Technik der Photographie erkannte er als optimales Hilfsmittel für Anschauungs- und Dokumentationszwecke in der Landschaftsgärtnerei [Anm.#23: Dazu Schneiders Artikel von 1901: Einige Worte über die Bedeutung der Photographie in der Landschaftsgärtnerei. Gartenwelt, 6. Jg., 193-196.Camillo Schneider ].

1906 veröffentlichte er eine dreiteilige Artikelreihe in den „Photographischen Mitteilungen", einer Zeitschrift für Amateurphotographen [Anm.#25: C. Schneider 1906: Pflanzenstudien in der Natur. Photographische Mitteilungen, 43. Jg., 77ff, 173ff, 250ff, 269ff. ], in der er seine Vorstellungen und Erfahrungen bezüglich dieses Mediums darlegte:

„Die Photographie soll weder Spielerei noch Luxus sein. Der Amateur muss sie genauso ernst nehmen wie den Beruf, den er sonst noch haben mag. (...) Er muss von selbst ihr Opfer bringen. (...) Der Amateur, wie ich ihn mir denke, bleibt sich be-wusst, dass seine Tätigkeit kostspielig ist, und dass sie ihm eine Entschädigung ßr seine Mühe abwerfen muss, soll sie kein Luxus sein. " [Anm.#26: Ebd., 80-81.1896-1900: Frühe publizistische Erfahrungen]

Schneider verwendete in dieser Zeit für seine Landschaftsaufnahmen eine „9x12 Camera für Hand- und Stativbetrieb" ? [Anm.#28: Ebd., 251.]* Er verzichtete aus Kostengründen und, um nicht zu viel Ballast mit sich herumzuschleppen, auf die bessere Qualität eines größeren Formats. Besonders gute Erfahrungen machte er mit einer sog. „Doppel-Mentor-Camera' [Anm.#29: Spiegelreflexkameras waren damals noch recht unhandlich, zudem war das Bild nur von oben im Apparat zu sehen. Dadurch mußte diese Kamera sehr tief gehalten werden bei der Aufnahme, was bei normaler Standhöhe zu eigenartigen Blickwinkeln führte. Aus diesen Gründen lehnte Schneider diese Variante insbesondere für seine Außenaufnahmen ab.10 Camillo Schneider]. Diese Apparatur setzte sich aus zwei übereinander montierten, damals üblichen Klappkameras zusammen, deren Objektive die gleiche Brennweite besaßen. Auf der Mattscheibe der oberen Kamera beobachtete er das anvisierte Motiv, die untere war bereit für die endgültige Aufnahme. Diese Technik bot den Vorteil, daß er das Motiv in Ruhe aussuchen und genau anvisieren konnte, ohne die untere Fotoplatte schon zu belichten. Die Doppel-Mentor-Camera fand Schneider sowohl für Pflanzennahaufnahmen als auch für Panoramabilder geeignet.

[Kapitel 3]